Husum am Binnenhafen
Ich bin hier nicht aufgewachsen. Es ist nicht mein Hafen. Keines der Schiffe, Kutter oder Boote gehören mir. Das Meer ist nur geliehen. Es kommt und geht. Ist nur zu Besuch.
Ich liebe den Hafen. Die Bucht. Das Meer.
Jetzt ist das Wasser fort. Ebbe. Ich stehe hier allein. Kein anderer Mensch da. Obwohl es Hochsaison ist. Die Mittagssonne verleiht dem Schlick ein goldenes Glänzen. Die Schiffe liegen hilflos im Matsch. Bewegungsunfähig.
Selbst die Möwen ruhen auf den Pollern.
Die Touristen sitzen in Cafés, Restaurants, sind auf Sightseeing oder Wandern. Doch zum Hafen kommen sie erst mit der Flut.
Der Schlick stinkt nach totem Fisch. Sagen sie. Der Hafen wirke öd, ohne Wasser. Manche der Einheimischen, die ich kenne, meinen das auch.
Das Meer muss man mit Vielen teilen. Der Hafen gehört den Schiffern.
Aber den Matsch hier im Hafen? Er, gehört mir allein. Es ist meine Zeit. Die Gezeiten haben ihren eigenen Geruch. Der Schlick ist nicht öde. Er riecht nach Leben. Glitzert und glänzt. Duftschwaden nach salziger Sehnsucht, steigen mir in meine Nase. Der Schlick liegt da und wartet. Es ist meine Zeit und ich teile sie, mit dem Schlick im Hafen. Mit den gestrandeten Booten, mit den Seeleuten, die mit der nächsten Flut in die unendliche Weite des Meeres aufbrechen. Ich warte mit den Möwen. Sie warten auf den nächsten Schwall an Touristen, die mit der Flut hier her strömen und sie füttern.
Es ist so friedlich. Das Warten. Ruhig. Geduldiges Sehnen, mit dem Wissen auf Erfüllung.
Der Schlick wird feuchter. Er glänzt immer mehr.
Nach und nach bilden sich kleine Pfützen. Der Duft nach dem Matsch wird schwächer. Die salzige Erinnerung an das Meer kehrt zurück.
Erst eine Ahnung. Aber, es kommt. Unaufhaltsam. Mit all seinen Tücken.
Freund, zugleich Feind.
So manch Einer wurde von der Flut überrascht. Nicht hier im Hafen. Der ist sicher. Aber draußen im Watt.
Die letzten Augenblicke meiner Zeit werden überspült.
Noch liegen die Boote brach. Noch lässt sich der Schlick erahnen.
Doch noch bevor, das erste zu dümpeln beginnen kann, dringen Stimmen durch die Luft. Wie zuvor das Wasser durch den Schlick. Erst in kleinen Pfützen.
Ich bin nicht mehr allein. Die Möwen kreischen und fliegen in einem heillosen gierigen durcheinander. Sie streiten sich um die zugeworfenen Leckerbissen, wie die Touristenautos, um die Parkplätze, direkt an der Hafenmauer.
Lärm umspült mich von allen Seiten. Kein entrinnen. Kreischen, Stimmen, quietschende Bremsen.
Die Zeit der Ruhe, vorbei. Sonnenstrahlen tanzen auf dem Wasser. Der Schlick, die Ebbe, meine Zeit verschwunden. Sehnsüchtiger letzter Blick zurück.
Dann verschwinde ich in der Menge und keiner sieht mich.
Ich bin hier nicht aufgewachsen. Es ist nicht mein Hafen. Doch mein zu Hause. Mit der nächsten Ebbe kehre ich zurück.
Quelle: www.pinkmind.de
Verfasser: Sandra Pothmann